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Die Zukunft der Transpersonalen Psychologie

 

Es hat den Anschein, als ob die buddhistischen bzw. durch buddhistische Traditionen inspirierten Ansätze die TP verdrängt haben. Um die Jahrtausendwende erklärte Ken Wilber der Transpersonalen Psychologie den Tod, um sich dann mit seiner neuen Begrifflichkeit "Integrale Psychologie" von den anderen abzuheben. Mit seiner esoterischen Farblehre der Bewusstseinszustände ("Spiral Dynamics") hob er dann endgültig ab. Richtig ist, dass sich die vierte Kraft der Psychologie und Psychotherapie mit dem Adjektiv „transpersonal“ nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch der Hochschulpsychologie einbürgern konnte. Stattdessen wurde in buddhistischen Forschungsgruppen mit dem Adverb „achtsamkeitsbasiert“ gearbeitet, was in den akademischen Kreisen besser ankam und sich auch besser vermarkten ließ. Trendanalysten zeigen, dass die Welle der Achtsamkeit in den letzten 10 Jahren ständig gewachsen ist, ihren Zenit aber bereits wieder hinter sich ließ. Die Todeserklärung an die TP von Ken Wilber ist besonders absurd, da er ihr mangelnde Forschung ankreidete, obwohl er selber nur schöne Theorien und interessante Modelle schmiedete, aber überhaupt keinen Beitrag zur empirischen Forschung leistete. Daran änderte auch das Auswechseln der Etiketten nichts. Sein früher oft verwendetes Wort "transpersonal" zu verwerfen und gegen das neue Lieblingswörtchen "integral" zu ersetzen, ist kein echter Fortschritt. Meines Erachtens hat er seine bedeutendsten Werke im letzten Jahrtausend geschrieben. 

Folgende Bilanz der bisherigen Entwicklung und Perspektive für die Zukunft lassen sich aufzeigen: Die TP verstand sich schon immer als eine zukunftsweisende Kraft in der psychologischen Forschung, Gesundheitsvorsorge und Psychotherapie-Entwicklung. Sie revolutionierte das damalige Denken und professionelle Handeln nicht nur von Psychologen und Psychotherapeuten, sondern auch von  Humanwissenschaftlern anderer Fachbereiche. Sogar die Philosophie (z.B. Metzinger 2009), Religionswissenschaften (z.B. v. Brück 2005) und die Neurobiologie profitierten von diesem frischen Wind einer sich ankündigenden transpersonalen Wende. Da es jedoch „die transpersonale Schule“ als solche nicht gab, musste sie sich gegenüber Psychoanalyse, Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie auch nie behaupten oder durchsetzen. Eine Verschulungsabsicht existierte in der TP nicht. Die Gedanken ihrer Pioniere waren für die damalige Zeit bahnbrechend und richtungsweisend, aber nie darauf angelegt, eine unter diesem Begriff vereinheitlichende und zusammenführende universelle Therapieschule zu begründen. Das ist es ja gerade, was die TP ganz wohltuend von geschlossenen Therapieschulen, Philosophien oder Theoriegebäuden einerseits, und von Sekten, Religionen oder organisierten Formen spiritueller Praxis andererseits, unterscheidet. Sie hauchte den bestehenden Therapie-Schulen, damals vor allem der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie, einen neuen Geist ein und legte Wert auf einen ganz authentischen, immer wieder neu entstehenden, aus der inneren Weisheit und Ganzheit des Klienten herauskristallisierenden therapeutischen Prozess. Die transpersonale Wende hat also auf einer ganz anderen Ebene stattgefunden wie bspw. die kognitive Wende. Sie gab und gibt es  dennoch weiterhin, sogar weitläufiger als ihre Pioniere dies erträumen konnten.  Lediglich das Label „transpersonal“ hat es nicht geschafft, zu einer annähernd großen Popularität zu gelangen wie ihr kleiner Bruder „achtsam“. Aber das ist für die TP unerheblich. Sie wollte keine Popularität, sondern lediglich wirken. Und das tat sie.

In der Verhaltenstherapie scheint durch die dritte Welle ein Anfang in diese Richtung gesetzt worden zu sein. Doch es ist nur ein Anfang. Buddhistische Konzepte eigneten sich schon immer gut für die Integration spiritueller Elemente in ein wissenschaftliches Weltbild. Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die TP Pionier-Arbeit geleistet hat, war die Meditationsforschung. Anfangs wurde Meditation von der Psychobiologie und Verhaltensmedizin nur als Entspannungsmethode verstanden und gewürdigt, inzwischen richtet sich das wissenschaftliche Interesse in der Meditationsforschung vor allem auf das Phänomen „Bewusstsein“. War früher das Bewusstsein so etwas wie die Summe der aktuellen Gedanken, ist es aus heutiger Sicht eher der nicht skalierbare Raum, in dem u.a. Gedanken auftauchen und wieder verschwinden. Bewusstsein ist viel mehr als Gedanken. Die Qualitäten eines ungetrübten, unkonditionierten Bewusstseins übersteigen das rationale Verstehen und analytische Denken. Genau damit befasste sich die TP schon, bevor die Achtsamkeitsmeditation über den Buddhismus in den Westen kam.

Ist die TP gestorben? Nein, denn etwas, das nie geboren wurde, kann eigentlich auch nicht sterben. Zumindest lässt sich der eigentliche Beginn schwer ausfindig machen und das Ende erst recht nicht. War der Beginn wirklich erst in den 60ern? Oder schon viel früher, mit C.G. Jung? Oder noch früher, mit William James? Waren die Lehren von Jesus und Buddha nicht bereits absolut transpersonal?

Die transpersonale Entwicklung in der Psychologie, wie auch in jeder anderen Wissenschaft, ja auch generell in jeder Kultur und Gesellschaft, wird nie ein Ende haben. Sie hatte auch nie einen Anfang. So wird die transpersonale Bewegung, wenn man sie denn so nennen will, auch noch dieses Jahrtausend maßgeblich beeinflussen und prägen, mehr als jede andere Kraft, Strömung oder Denkrichtung. Warum? Jede Grenze zwischen unterschiedlichen Traditionen, Kulturen und Religionen, wie auch zwischen dem Menschen und dem Rest des Lebens, muss irgendwann überwunden werden, wenn sich der Mensch auf einen universellen Frieden zubewegen will. Das gilt auch für Schulen der Psychotherapie. Es kann nicht mehr funktionieren, eine Psychotherapie auf nur eine Tradition, ein Denkmodell oder nur eine Facette zu reduzieren. Sie muss direkt am ganzen Menschen ansetzen, seiner Seele, seinem Geist, seinem Wesen. Diese entziehen sich jedoch jeglicher psychologischen, kulturellen, religiösen oder spirituellen Kategorie. Auf diese essenzielle Wahrheit hat die TP immer hingewiesen und wird es weiterhin tun. Die transpersonale Perspektive ist daher unverzichtbar für unsere heutige Zeit und die Zukunft. Was Karl Rahner mit den Worten sagte, „Der neue Mensch wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein“ lässt sich ebenso folgendermaßen ausdrücken: Die Zukunft der Psychologie wie auch des Menschen generell wird transpersonal sein oder es wird keine mehr geben.

Die Psychologie und Psychotherapie wird zunehmend transpersonaler, auf ganz selbstverständliche Art und Weise, auch ohne dieses Adjektiv. Vielleicht wird sich analog zum Begriff der Ganzheitsmedizin eine ganzheitliche Psychologie und Psychotherapie etablieren. Möglicherweise könnten Begriffe wie transpersonal oder Selbsttranszendenz wieder in Mode kommen, wie heute Achtsamkeit. Aber wahrscheinlich eher nicht, da sie eigentlich noch nie Modeworte waren. Es könnte aber sein, dass die Zeit nach der dritten Welle der VT noch kommen wird, wo diese Begriffe wieder neu entdeckt, verstanden und gebraucht werden. Schließlich ist die Unterscheidung zwischen personal, interpersonal und transpersonal unverzichtbar, um dem Menschen in seinem Beziehungsgeflecht vollständig verstehen zu können. Von einer wirklich ganzheitlichen Psychologie und Psychotherapie müssen alle drei Arten von Beziehung und Beziehungsfähigkeit berücksichtigt werden: Die Beziehung zu sich und seinen Teilen, einschließlich der Gefühle, Gedanken, Motivationen, Interessen, Bedürfnisse, Verhaltensmuster usw., die Beziehung zu anderen Menschen, einschließlich der Freunde, der Familie, der Kollegen und der partnerschaftlichen Liebesbeziehung, und dann die Art der Beziehung, die eben von den nicht-transpersonalen Kollegen vernachlässigt oder ausgeschlossen wird: Die Beziehung zum universellen Sein, zur Evolution, zum ganzen Leben und zum Daseins-Grund.

Die „3. Welle“ - Ansätze und die Achtsamkeitsbewegung berücksichtigen nur die personale und interpersonale Ebene und sind daher in ihrem Bezugssystem gegenüber den ersten beiden Wellen nicht weiter gekommen. Unterschieden wird nur zwischen einer (intra)personalen Achtsamkeit und einer interpersonalen Achtsamkeit. Es wird und muss somit weiterhin das Anliegen aller (bekennenden und nicht-bekennenden) transpersonalen Pioniere sein, die „Bewusstheit“ (und das Erleben derselben) in Bezug auf den universalen Seins-Grund allen Lebens in den Mittelpunkt zu rücken und als vertikale Dimension zu konstatieren. Sie ist es, die alle Aspekte des alltäglichen Lebens mit Tiefe, Sinn und Plastizität erfüllt, da sie ihre erste Voraussetzung darstellt. Es ist gut und richtig, dass die Achtsamkeitsexperten die Atmung als Grundlage des Lebens kontemplieren, doch diese Art der Meditation ist ja nur ein Weg, um dahin zu kommen, wofür die Atmung als Symbol steht: Die Essenz des Lebens. Auch der Atemvorgang lässt sich transzendieren, um noch tiefer zu gelangen. Solange die Aufmerksamkeit an der Atmung festhält, ist sie immer noch auf ein Objekt gerichtet. Wird jegliches Objekt losgelassen, bleibt die reine, offene, selbsttranszendente Bewusstheit. Sie ist immer da als eine Art Hintergrundbewusstsein. Mit diesem transrationalen Hintergrundbewusstsein verschmilzt die ganze Aufmerksamkeit, so lange, wie man dies zulässt. Dieses Erleben zu erforschen, zu kultivieren und für Heilungs- und Therapieprozesse zu nutzen, nicht nur für körperliche und psychologische, sondern auch für eine soziale und kulturelle Rehabilitation, wird weiterhin das zentrale Anliegen der TP sein. Die aktuellen Herausforderungen können nur behoben werden, wenn sich Menschen nicht mehr durch Konkurrenz, Wettbewerb, Macht, Geld- und Besitzgier oder Glaube voneinander abgrenzen und bekriegen, sondern als Teil einer geeinten Menschheit begreifen und für eben diese leben. Und das natürlich nicht auf Kosten der Natur, sondern in Demut und Verbundenheit mit ihr. Eine Psychologie und Psychotherapie der Zukunft, die dem menschlichen Zusammenleben in Einheit mit der Natur kollektiv, transkulturell und evolutionsgerecht dienen soll, anstatt einzelne Menschen (noch) egoistischer, reicher, mächtiger und selbstsüchtiger zu machen, muss die Kategorien Ich und Du, Subjekt und Objekt, Inländer und Ausländer, Macht und Ohnmacht, Erfolg und Scheitern, radikal überwinden. Sie hat vor allem eines im Sinn: die Einheit des Lebens ohne Grenzen. Seelische Gesundheit kann nur in Einklang mit dem transpersonalen Leben gelingen.

Eine moderne, mehr geerdete Form der transpersonalen Psychotherapie ist die Transpersonale Verhaltenstherapie. Es handelt sich dabei um eine lerntheoretisch fundierte, meditationsbasierte Form der Psychotherapie.

 

 

Literatur

 

Metzinger, Th. (2009): Der Ego-Tunnel. Piper, München.

v. Brück, M. (2005): Das Ich, das Personale und das Transpersonale. Transpersonale Psychologie u. Psychotherapie, 11 (1). Via Nova, Petersberg. 31-41.

Piron, H. (2007): Transpersonale Verhaltenstherapie. Via Nova Verlag, Petersburg.