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Die Transpersonale Psychologie

 

Diese Seiten informieren über die Geschichte, Inhalte, wichtigsten Vertreter und aktuellen Entwicklungen der Transpersonalen Psychologie und Psychotherapie, die ihr Mitbegründer Abraham Maslow als die vierte Kraft in der Entwicklung der Psychologie und Psychotherapieschulen bezeichnete:

„Ich betrachte die Humanistische Psychologie, die ‘Psychologie der Dritten Kraft’ als vorübergehend, als eine Vorbereitung für eine noch ‘höhere’ Vierte Psychologie, die transpersonal, transhuman ist, ihren Mittelpunkt eher im Kosmos als in menschlichen Bedürfnissen und Interessen hat, und die über Menschlichkeit, Identität, Selbstverwirklichung und dergleichen hinausgeht“ (Maslow 1968).

Eine konkretere Definition stammt von Roger Walsh und Francis Vaughan:

„Transpersonale Psychologie befasst sich mit der Untersuchung optimaler psychischer Gesundheit und optimalen Wohlbefindens und betont das Bewusstsein als zentralen Brennpunkt ihres Interesses. Transpersonale Psychologie schließt traditionelle Gebiete und Techniken, die therapeutisch relevant sind, ein; wo es angemessen ist, erweitert sie diese mit der Zielsetzung, Wachstum und Bewusstheit über die traditionell anerkannten Ebenen der Gesundheit hinaus zu fördern, und betont dabei die Bedeutung der Bewusstseinsveränderung“ (Walsh & Vaughan, 1988, S. 23).

Ähnlichkeiten zu der später entstandenen positiven Psychologie (Martin Seligman, Nozrat Peseschkian) und der Gesundheitspsychologie (z.B. Ralf Schwarzer oder Peter Becker) sind deutlich erkennbar. Doch die zentrale Bedeutung des Bewusstseins und seine erweiterte Phänomenologie jenseits des rationalen, divergenten, dualistischen Denkens ist in der Transpersonalen Psychologie bis heute einzigartig. Jedoch klingt die oben zitierte Definition von Walsh & Vaughan in ihrer Betonung eines „optimalen Wohlbefindens“ etwas irreführend, denn eigentlich unterscheidet sich die Transpersonale Psychologie von ihrem Vorgänger der Humanistischen Psychologie genau in diesem Punkt, dass sie den Hedonismus, der jeglichem Bedürfnisbefriedigungsstreben innewohnt, überwindet. Frankl`s Hauptthese der Selbsttranszendenz, dass der Mensch nur in dem Maße Sinn und Glück erleben kann, wie er sein eigenes Ich mit seinem ewigen Streben nach Befriedigung und Wohlbefinden in den Hintergrund treten lässt und in den Beziehungen zu seinen Mitmenschen, zum Leben und im Dienst am Leben Erfüllung findet, war eine große Bereicherung der Transpersonalen Psychologie und hat ihre eigentliche Bestimmung auf den Punkt gebracht.

Die transpersonale Psychologie wird hier im Folgenden anhand ihres Forschungsgegenstandes, ihres Menschenbildes, ihres Wirklichkeitsverständnisses, ihres Bewusstseins-, Selbst- und Entwicklungsbegriffes und ihrer Therapiemethoden skizziert.

 

Forschungsgegenstand

Erweiterte Bewusstseinszustände, spirituelle Erfahrungen, Selbsttranszendenz, Wirkungen spiritueller Praxis (Gebet, Meditation und Yoga), bedingungsanalytische Faktoren von Ichbezogenheit und Egozentrismus sowie die Möglichkeiten ihrer Überwindung, die Phänomenologie des ganzen Bewusstseinsspektrums von fragmentierten und dualistischen Bewusstseinszuständen bis hin zu überbewussten, transrationalen oder mystischen  Zuständen (Ekstase, Erleuchtung, unio mystica) und die Kultivierung transpersonaler Qualitäten wie Frieden, Freude, Gleichmut, Liebe, Mitgefühl, Hingabe und Dienst am Leben gehören zu den wichtigsten Forschungsbereichen der Transpersonalen Psychologie.

 

Menschenbild

Der Mensch ist mehr als seine Persönlichkeit (transpersonal) und mehr als sein Verstand (transrational). Der Mensch hat eine Persönlichkeit, ist eine Seele und befindet sich irgendwo auf dem Weg zu einem erleuchteten/erwachten/befreiten Geist. Persönlichkeit ist das biografische Produkt seiner Erfahrungsgeschichte, also seiner Vergangenheit, Seele ist das transpersonale Wesen (Assagioli: „transpersonales Selbst“) und Geist bezeichnet das Noetische im Menschen (Frankl), das sich nicht auf die neurobiologische Ebene des Gehirns reduzierten lässt. „Leib“ ist der beseelte Körper. In der Transpersonalen Psychologie werden alle Ebenen berücksichtigt: Der Mensch ist eine Leib-Seele-Geist-Einheit. Leib, Seele und Geist sind keine getrennten Teile, sondern verschränkte Wirklichkeiten, die sich im Menschen einander durchdringen.

 

Wirklichkeitsbild

Das Wirklichkeitsbild der transpersonalen Psychologie erinnert an jenes der Quantenphysik, der Systemtheorie, der Mystik oder des Buddhismus. Wie auch in der Quantenphysik wird die Dualität bzw. Trennung von Subjekt und Objekt als Illusion erkannt und überwunden. Die in der humanistischen Psychologie überhöhte Bedeutung des Individuums wird jetzt durch die Bedeutung von Beziehung(en) stark relativiert. Ähnlich wie die Systemtheorie sieht die transpersonale Perspektive alle Menschen als voneinander untrennbare Teile einer übergeordneten Gesamtheit, die jedoch im Vergleich zur Systemtheorie eine Lebendigkeit und Art Intelligenz besitzt. Individuen sind nicht realer als ihre Beziehungen zueinander, sie werden durch ihre Bezüge, die sie aufeinander ausüben, erst lebendig. Der buddhistische Begriff des bedingten Entstehens bedeutet genau dies:  Interdependenz. Das heißt, nichts existiert isoliert, aus sich selbst heraus. Im Unterschied zur buddhistischen und systemtheoretischen Sichtweise der Interdependenz gibt es aber auch noch eine Art von Beziehung, die nicht in der horizontalen Ebene liegt, sondern in einer vertikalen Dimension. Es gibt einen Unterschied zwischen interpersonaler Beziehung und transpersonaler Bezogenheit. Letztere bedeutet, dass der Mensch zuerst einmal mit dem größeren Ganzen verbunden ist, noch bevor er einzelne Individuen kennen lernt, zu denen er bestimmte Formen von Beziehungen aufbaut und kultiviert, einfach deshalb, weil er ein Teil des Ganzen ist. Für christliche Mystiker ist das die Ebene, von der es heißt: „Gott ist einem näher als der eigene Atem“. Die Beziehung zur absoluten, allumfassenden Wirklichkeit, die jenseits von Subjekt und Objekt existiert, alles durchdringt und alles beinhaltet, tendiert in Richtung Konfluenz, Verschmelzung, Einheit. Das heißt, wir sind nicht nur ein Teil des Universums, wir bestehen aus Universum, wir sind Universum. Materiell betrachtet bestehen wir aus Sternenstaub. Mystisch betrachtet bestehen unsere Seelen aus Gott. Sie sind der uns eingehauchte „heilige Geist“, „Psyche“, „Prana“, „Chi“.

Das Wirklichkeitsbild der transpersonalen Psychologie ist transkulturell.  Christen, Juden, Muslime, Hinduisten (usw.) haben kein Patent auf die alleinige Gültigkeit ihres Gottes bzw. ihrer Götter. Gott und Götter sind tradierte religiöse Konstrukte und ihre Offenbarungen sind kulturell eingefärbte Interpretationen mystischer Erfahrungen. Der gemeinsame Nenner ist (im besten Falle) die transpersonale, transrationale Erfahrung eines nicht-dualen Bewusstseins, in dem die absolute, ungeteilte Wirklichkeit bezeugt wird. Dieser einen Namen oder ein Gesicht zu geben oder gar eine vermenschlichte Geschichte anzuhängen, ist die Sache der Religionen, nicht der Transpersonalen Psychologie.

 

Bewusstseinsbegriff

In der Transpersonalen Psychologie wird unterschieden zwischen „Bewusstsein“ als solches, von dem es kein Plural gibt, seinen Inhalten einerseits und vielen verschiedenen Bewusstseinsebenen bzw. –zuständen andererseits. Das (r)eine Bewusstsein, Bewusstsein an sich, ist ganz, ungeteilt, unkonditioniert und unbegrenzt. Wir und unsere Gehirne sind Träger dieses Bewusstseins. Separates Bewusstsein, wie es die allgemeine Psychologie versteht, ist ein Konstrukt. Bewusstsein an sich ist eine Erfahrung. Hinsichtlich der Bewusstseinsebenen kann unterschieden werden. Roberto Assagioli unterschied grob zwischen dem Unterbewussten mit den Trieben, Instinkten und verdrängten Erfahrungen, dem Bewusstseinsfeld mit den wahrgenommenen Realitätsausschnitten, umgeben von einem mittleren Unbewussten, das die eigenen voreingestellten Gedanken, Überzeugungen und Motivationen beinhaltet, und das Überbewusste oder höhere Unbewusste, in dem wir unsere intuitive Weisheit, Liebe, Kreativität und all die anderen unendlichen Schätze in uns tragen.

Auf jeden Fall bedeutet Bewusstsein aus transpersonaler Sicht, dass dieses nicht an ein Ego oder eine Persönlichkeit gebunden ist, sondern diese transzendiert. Es unterliegt auch nicht der Kontrolle des Gehirns. Es wird vielmehr so gesehen, dass letzeres mit ersterem kooperiert. Es ist das Bewusstsein, welches das Gehirn steuern und verändern kann. Nach Frankl sind wir in unserem Bewusstsein unkonditioniert. Durch unser Bewusstsein sind wir fähig, uns selbst zu bestimmen, von innen zu leben statt von außen gelebt zu werden, uns selbst zu transzendieren und uns lebenslang weiterzuentwickeln.

 

Selbstbegriff

Anders als in allen anderen psychologischen Strömungen wird in der Transpersonalen Psychologie ganz klar unterschieden zwischen dem Ego, dem Ich und dem Selbst. Ego bezeichnet einen auf sich selbst und seine Vorteile fixierten, also stark eingeschränkten Bewusstseinszustand. Es ist die Quelle vieler Ängste, vor allem der neurotischen Ängste. Es hält sich für etwas Besonderes und braucht die Anerkennung der anderen. Ohne Bestätigung von außen fühlt es sich wertlos. Das Ich ist seit Freud die Steuerungszentrale, die über verschiedene Funktionen (Ich-Funktionen) verfügt. Es koordiniert, managt, handelt und dirigiert. Es versucht, die verschiedenen Bedürfnisse und Anforderungen in Einklang zu bringen. Das Selbst ist der ungeteilte innere Kern, der Dramaturg unseres Lebens, der Schöpfer unserer Wirklichkeit. Es ist zugleich der innere Zeuge all unserer Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Erlebnisse, ohne damit identisch oder identifiziert zu sein. Es ist identisch bzw. eins mit dem Sein. Es ist transpersonaler Natur.

 

Entwicklungsbegriff

Transpersonale Psychologen betrachten die Entwicklung des Menschen als lebenslang. Die Entwicklung endet nicht mit dem Erwachsenwerden, sondern geht immer weiter. Das Erinnerungsvermögen und vielleicht auch die Konzentration mögen später abnehmen, aber die Weisheit und das Mitgefühl nehmen zu. In der ersten Lebensphase, der primären Sozialisation, auch Enkulturation genannt, finden die Rollenlernprozesse statt, die aus dem Kind einen gesellschaftsfähigen Menschen machen. Im jungen Erwachsenenalter beginnt die sekundäre Sozialisation, die Subkulturation. Die gelernten Regeln und Rollen werden je nach sozialem Kontext weiter ausdifferenziert. Der Erwachsene ist fähig, verschiedene Rollen einzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Im höheren Alter findet die tertiäre Sozialisation statt, die auch  als Transkulturation bezeichnet wird. Hier lernt der Mensch, über die gelernten Regelsysteme, sozialen Konditionierungen, tradierten Rituale und seine kulturelle wie auch biografische Identität, mit all seinen Erfolgen und Misserfolgen, hinauszuwachsen. Er lernt durch die Beschäftigung und die Begegnung mit anderen Kulturen andere Perspektiven kennen, gelangt dabei zu neuem Wissen und entwickelt nun eine umfassendere Weltsicht. Mit größerem Abstand blickt er auf die vielfältigen Erfahrungen seines bisherigen Lebens zurück und gewinnt daraus wertvolle Einsichten. Aus transpersonaler Sicht wird der Mensch nie ein fertiges Produkt sein. Von daher gibt es auch nicht so etwas wie eine finale Erleuchtung, mit der die menschliche oder spirituelle Entwicklung endet. Im Grunde geht es darum, dass der Mensch immer menschlicher wird.

 

Therapiemethoden

Bestehende Therapiemethoden der bisherigen Schulen (Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, Körperpsychotherapie) wurden durch neue, extra für die transpersonale Dimension entwickelte Methoden ergänzt.  Letztere beinhalten angeleitete meditative, kontemplative und imaginative Übungen, Visualisierungen, sokratische, intuitive und empathische Gespräche, wie auch evokative und konfrontative Methoden. Ein gelungenes Paradebeispiel für eine transpersonale Tiefenpsychologie ist die Psychosynthese (Roberto Assagioli). Andere transpersonale Therapiemethoden sind die Logotherapie (Viktor Fankl), die Initiatische Therapie (Graf Dürkheim), die auch als transpersonale Leibarbeit verstanden wird, die Holotrope Therapie (Stanislav Grof) und die Transpersonale Verhaltenstherapie (Piron, 2007). Über die üblichen Therapieziele und Alltagsthemen hinaus geht es bei den transpersonalen Ansätzen auch immer um die existenziellen Kern-Fragen, die um den Sinn des Lebens kreisen: "Wer bin ich eigentlich?", "Wer werde ich bzw. wer soll ich werden?", "Wo gehöre ich hin?", "Was kann ich sonst noch?", "Was will ich wirklich?", "Was erfüllt mich?", "Womit kann ich dienen?" und "Was soll der ganze Unsinn eigentlich?"

 

Literatur:

Maslow, A. (1968): Towards a psychology of being, 2nd ed.. Van Nostrand Reinhold Company, New York.

Piron, H. (2007): Transpersonale Verhaltenstherapie. Vianova, Petersberg.

Walsh & Vaughan (1988): Vergleichende Modelle – Das Verständnis der Person in der Psychotherapie. In: Boorstein, S. (Hrsg.): Transpersonale Psychotherapie. Scherz-Verlag, München. 22-44.

Walsh & Vaughan (1985): Psychologie in der Wende. Scherz-Verlag, München.